Ernsthafte Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Chiapas und Mexiko

Straßenblockade als Protest gegen den Bau der Autobahn San Cristóbal – Palenque „Organisiertes
Dorf Mitzitón/AnhängerInnen der Anderen Kampagne/Strafe für die
Paramilitärs/Mörder der ‘Armee Gottes’ – raus aus unserm Dorf“
(© SIPAZ)Im Juli gab die Menschenrechtskommission von Mexiko-Stadt zu bedenken, dass Mexikos Wirtschaft zwar weltweit auf Platz 13 rangiert, aber beim Globalen Friedensindex (Global Peace Index) auf Platz 108 liegt, sogar hinter afrikanischen Ländern wie Ruanda oder Kongo. Dieser Index misst die Wahrnehmung von Gewalt in 144 Ländern. Er berücksichtigt, dass Frieden nicht bloß die Abwesenheit unmittelbarer Gewalt (Krieg) ist, sondern auch die Abwesenheit von kultureller und struktureller Gewalt, weswegen er auch Faktoren wie Bildung, materieller Wohlstand und die Verteidigung und Förderung der Menschenrechte einbezieht.Im Rahmen der Zweiten Konferenz mexikanischer MenschenrechtsverteidigerInnnen, welches in Mexiko-Stadt stattfand (August 2009), wurden einige Merkmale der derzeitigen Menschenrechtssituation im Land herausgearbeitet. Dazu zählen:·         „Von Staatsseite her gibt es zwei Diskurse, einen auf internationaler Ebene, bei dem man sich als den Menschenrechten verpflichtet zeigt, während es intern nicht nur kein Interesse gibt, die Menschenrechte zu schützen und zu verteidigen, sondern diese Rechte sogar behindert werden und internacionales Menschenrechtsstandards nicht umgesetzt werden”. ·         „Unser Land wird unter dem Vorwand der Bekämpfung der organisierten Kriminalität militarisiert und die Situation wird noch dadurch verschlimmert, dass Soldaten, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben sollen, vor Militärgerichte gestellt werden, was zur Schutzlosigkeit der Opfer führt”. ·         „Schwächen bei der Anwendung und Durchsetzung des Rechts, die zu Straflosigkeit führen”. ·         „MenschenrechtsverteidigerInnen, die auf ihre Rechte pochen, werden von Gerichten bestraft, Demonstranten werden von der Polizei systematisch angegriffen, verfolgt und bedrängt.” ·         „Direkte Angriffe auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Angehörigen politischer Gefangener, Gefangener aus Gewissensgründen und MenschenrechtsverteidigerInnen, wie z. B. willkürliche Verhaftungen, illegale Verhaftungen, Folter, Verschwindenlassen, Ermordung, und mit besonderer Härte in den indigenen Gemeinden”. ·         „Kampagnen, die darauf zielen, das Image von MenschenrechtsverteidigerInnen und Aktivisten der sozialen Bewegungen und ihrer Arbeit zu zerstören In Chiapas lassen sich dieselben Tendenzen feststellen, hinzu kommt aber noch eine gravierende Verschlechterung der Menschenrechtssituation im Bundesstaat, der einige Indikatoren tief in den roten Bereich hat rutschen lassen.StraflosigkeitIm Oktober stellte das Beobachtungszentrum für soziale Konflikte von Servicios y Asesoría para la Paz (Serapaz; dt. Dienste und Beratung für den Frieden) fest, dass 24% aller sozialen Mobilisierungen zwischen Januar und August diesen Jahres die Forderung hatten, mit der Straflosigkeit Schluss zu machen.Der aufsehenerregendste –und mit Sicherheit der paradigmatischste – Fall in Chiapas war zwischen August und November die Entscheidung des höchsten Gerichtshofs (Suprema Corte de Justicia de la Nación; SCJN), 35 Indigene auf freien Fuß zu setzen, die verurteilt worden waren, weil sie 1997 45 Indigene in der Gemeinde Acteal im Landkreis Chenalhó ermordet haben sollen. 22 Verurteilte für die gleichen Taten erreichten die Revision ihrer Prozesse. Als Begründung gab der SCJN an, die Urteile beruhten auf illegal beschafften Beweisen und auf Zeugenaussagen, die von der Generalstaatsanwaltschaft (Procuraduría General de la República; PGR) fabriziert wurden. Das Gericht betonte, die Rechte dieser Gefangenen auf ein rechtmäßiges Verfahren und eine angemessene Verteidigung seien nicht respektiert worden und dass die Entscheidung daher einen überzeugenden Fortschritt im Kampf gegen Straflosigkeit und in der Stärkung des Rechtsstaates darstelle. Foto: Pilgermarsch der Abejas in San Cristóbal als Protest gegen
die Freilassung von Gefangenen im Fall Acteall
(© SIPAZ)Im Gegensatz dazu beklagte die Organisation Las Abejas, der die Opfer aus Acteal angehörten, angesichts dieser Entscheidung: „Das Wenige, das bisher an Gerechtigkeit für die Opfer von Acteal erreicht wurde, hat der SCJN vor ein paar Tagen in Straflosigkeit verwandelt”. Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas (CDHFBC), das die Abejas verteidigt, warnte: „Anstatt auf wahre, den ‚Rechtsstaat‘ stärkende Gerechtigkeit zu setzen, hat man die Paramilitärs freigelassen, die von den Überlebenden und Zeugen eindeutig identifiziert wurden und werden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben”. . Es bleibt festzuhalten, dass der SCJN nicht die Unschuld der Freigelassenen festgestellt hat. Deswegen beklagen einige den Widerspruch zwischen einer juristischen Entscheidung, der nicht mehr widersprochen werden kann, und der Notwendigkeit, in dem Fall Gerechtigkeit herzustellen. Die Entscheidung ist auch kritisiert worden, weil sie den Kontext des Massakers von Acteal und des andauernden Kriegs in Chiapas außer Acht lässt. Foto: Transparent gegen die Entscheidung des Obersten
Gerichtshofs im Fall Acteal „Welchen Weg geht der Oberste Gerichtshof?
Den der Lüge und Verdunkelung oder den der Wahrheit und Gerechtigkeit?
(© SIPAZ)Offizielle US-Dokumente, die im August vom National Security Archive deklassifiziert wurden, stützen eine von Menschenrechtsorganisationen seit über 10 Jahren aufrechterhaltene Behauptung und beweisen, dass die Mexikanische Armee Paramilitärs im Rahmen der Aufstandsbekämpfung gegen die zapatistischen Basen in den 1990er Jahren direkt unterstützt hat. Außerdem informierte die chiapanekische Staatsanwaltschaft (Procuraduría General de Justicia del Estado; PGJE) Anfang Oktober, dass es Aussagen gäbe, die mehrere hohe bundesstaatliche und föderale Funktionäre belasten, im Fall Acteal nachlässig gehandelt zu sein.Ein ebenfalls besorgniserregender Aspekt der SCJN-Entscheidung sind ihre Folgen für Chenalhó und mehrere weitere Regionen in Chiapas, wo sie als Freibrief verstanden wird und zu neuerlichen paramilitärischen Aktionen führen könnte. Einen gewissen politischen Realitätssinn hat die Regierung von Chiapas bewiesen, als sie versuchte die Rückkehr der Freigekommenen nach Chenalhó und damit mögliche Konfrontationen zu verhindern und ihnen Land, ein Haus und Arbeit anbot. Die Abejas verurteilten den sehr begrenzten Effekt dieser Beschwichtigungsmaßnahme. Seit August haben sie auch Versuche der Regierung öffentlich gemacht, sie zu spalten und mit bewaffneten Gruppen in Verbindung zu bringen.

Esta entrada fue publicada en Mundo.